Zitat
Es war ein Tag, der in die Geschichte einging. Von den Medien verschwiegen, stürmten Anfang März eine Gruppe wild gewordener Killer-Gamer das beschauliche Bempfingen bei Gunnersbach und richteten ein regelrechtes Chaos an. Seit dem Amok-Angriff ist nichts mehr so, wie es einmal war. Gast-Autor und Außenreporter Malte Schniedertönns erinnert sich.
Verschlafenes Bempfingen bei Gunnersbach: Als noch alles gut war
Es gab einmal eine Zeit, da war Bempfingen bei Gunnersbach noch eines dieser Dörfer, wo die Zeit still stand. Jeden Morgen wurde man vom Krähen der Hähne und von den wunderbaren Gesängen der Vögel geweckt. Ich kann mich noch erinnern, als wir, die Bewohner von Bempfingen, uns nach dem sonntäglichen Kirchgängen immer zu Kaffee und Kuchen zusammensetzten und die Ruhe und Harmonie des Landlebens bis auf den letzten Sonnenstrahl ausgekosteten. Nicht einmal in meinen kühnsten Träumen unter dem Bempfinger Sternenhimmel hätte ich gedacht, dass sich dieser Ort einmal zum Sodom und Gomorrha der Killerspiele verwandeln würde.
Der Traum wurde zum Alptraum.
Es fing alles an, als mich ein mysteriöser Brief erreichte. Auf seinem Kuvert war World-of-Warcraft-Werbung (dt.: Welt von Kriegskraft, Anm. v. Frank Torthoff) und darin ein karierter Zettel, auf welchem in großen roten Buchstaben geschrieben stand: “Ich werde euch alle umbringen!” Natürlich ging ich zuerst von einem Jux der Nachbarjungen aus, ein paar schlimme Plagen sind das, das können Sie mir glauben! Aber mit jeder weiteren Zeile, die ich las, wurden die Drohungen schlimmer und meine Angst, irgendwann einmal selbst Opfer dieser grausamen Gaga-Gamer zu werden, über die man so viel Schreckliches liest, stärker.
In den nächsten Tagen vermehrten sich die Drohbriefe, auch andere Bewohner hatten das bereits registriert, es wurde still auf den Straßen von Bempfingen. Es war nicht diese verschlafene, angenehme Ruhe, für die unserer schöner Ort einst bekannt war. Nein, es war eine bedrohliche Ruhe, die Ruhe vor dem Sturm. Nicht einmal die Katzen und Hunde trauten sich dieser Tage auf die Straßen, denn man ahnte es bereits: Es lag etwas in der Luft, und das roch nach Blut!
Ich zog jede nur erdenkbare Möglichkeit in Betracht, um mir zu helfen. Doch je mehr ich mich wehrte, auch mit der Hilfe des großartigen Pädagogen und Medien-Experten Herrn Torthoff, umso schlimmer wurden die Anfeindungen. Und eines stürmischen Abends war es dann soweit: Aus der immergrünen Bempfinger Au stürmte eine Horde maskierter, unverheirateter Männer heraus. Sie trugen Halstücher und kugelsichere Schutzwesten, auf den Rückseiten mit Hakenkreuzen verziert. Es war einfach grauenhaft! Mit ihren Spielzeuggewehren belagerten sie uns, diese drogensüchtigen Amokschweine. Eine gelbe Softgun-Kugel traf meinen Nachbarn Ulrich Bohlens ins Auge, er erblindete sofort.
Ich flüchtete sofort mit meiner Familie in den Keller, schlossen uns ein. Draußen hörte man das Geschrei von Frauen und Kindern. Immer wieder erklang der dumpfe Aufprall von Mülltonnen, die die Gamer in ihrem Blutrausch zu Boden stießen und beschmutzten, indem sie mit Graffiti-Dosen Hakenkreuze und die Namen bekannter World-of-Warcraft-Helden darauf sprühten.
Doch das war noch nicht das Ende des Baller-Blutrauschs von Bempfingen. Immer wieder erklangen Schüsse, die Hip-Hop-Gesänge der Nazi-Gamer verkündeten die Apokalpyse: “Tötet den Christen mit der Kristallspitze von Karabor!”, “Killerspielen macht frei!”, “Ein Volk, ein Reich, ein WoW!”
Noch lange bis in die frühen Morgenstunden hörte man Babygeschrei, verschlüsselte Gamer-Codes und laute Metal-Musik von den Ärzten und Eminem. Erst, als die Sonne aufging, verhallten die Kriegslaute und die Baller-Brüder verkrochen sich wieder in der Au, wo sie sich Haschisch spritzten und mit ihren Bongs Kokain pafften.
Eine Gruppe von jungen, kräftigen Bempfingern machte sich auch auf den Weg, um die Nazi-Gamer aus ihrem Kommunisten-Versteck zu holen und sie zur Rede zu stellen. Die Leute waren durchaus schwer bewaffnet, mit Heugabeln und Bibeln, doch keiner von ihnen kehrte zurück. Sofort lief es mir Kalt den Rücken runter, in meinem inneren Auge sah ich den leidenden Herrn Bohlens, wie ihm das Blut über die hohen Wangenknochen floss und sich mit seinen Tränen vermischte.
In diesem Moment wurde mir klar, dass wir in einem Krisengebiet leben, in dem ähnliche Zustände herrschen wie im grausamen Iran-Krieg. Es ist wie damals, bei der Berliner Mauer, wo unschuldige BRD-Einwohner über die Grenze hinweg in den Osten wollten und dabei gnadenlos niedergeschossen wurden.
Trotz der täglichen verzweifelten Hilferufe schreitet die Regierung nicht in die Hölle von Bempfingen ein. Zu groß ist die Gefahr, wichtige Einnahmen durch den Verkauf von Killerspielen zu verlieren und diese blutrünstigen Wilden am Ende noch gegen die Regierung selbst aufzubringen.
Dennoch, nichts wird mich aus meinem geliebten Bempfingen vertreiben können. Mögen die Killerspieler in noch so großen Scharen über unsere beschauliche Ortschaft herfallen und alles zerstören – ich werde der Erste sein, der Stein um Stein alles wieder aufbaut. Und wenn es mich auch mein Leben kostet.
Es grüßt aus dem einst so schön verschlafenen Bempfingen bei Gunnersbach, wo die Zeit einmal still stand,
Malte Schniedertönns